
Die Grenzen der Zeit und die Kraft der Schönheit auf der Schwelle von Leben und Tod
(Ein Bericht von: Daniel Diestelkamp)

Bachtyar Ali mit der „Stadt der weißen Musiker“ bei open arts im Kunsthaus Wäldchen: Drei Männer sitzen in einer Gruppe im Studio des Kunsthaus Wäldchen vor dem im Halbkreis positionierten Publikum. Links, etwas im Abstand sitzt eine Frau mit Musikinstrumenten. Die Frau und zwei der Männer sind ganz in weiß, der Mann zwischen den beiden weißgekleideten Herren ist schwarz gekleidet. Der kleine Mann da in der Mitte ist Bachtyar Ali, ein kurdischer Autor, der während einer Demonstration in Bagdad gegen den Diktator Sadam Hussein in den neunziger Jahren schwer verletzt wurde, danach das Land verließ und zu schreiben begann. Die Kurden sind mit ca. 50 Millionen Menschen die größte über vier Länder verteilte Ethnie der Erde ohne eigenen Staat, zerrissen und geknechtet in zahlreichen nicht enden wollenden Kriegen, „geschunden durch die Gewalt der barbarischen Herrscher ebenso wie durch Gewalt der Befreier“. (Bachtyar Ali)
Zum zweiten Male nach 2024 gastiert der preisgekrönte Autor an diesem Abend am 19.06. bei „open arts“ im Kunsthaus Wäldchen. Diesmal mit seinem Roman „Die Stadt der weißen Musiker“.
Der Mann rechts neben ihm ist Michael Dick, Schauspieler, Regisseur und Performancekünstler. Er liest die sorgfältig ausgesuchten und vorbereiteten Texte auf Deutsch. Auf der anderen Seite sitzt Hartmut Buchholz, ein Journalist und Afrikakorrespondent aus Bonn, der mittlerweile die Hälfte des Jahres in Kenia verbringt und an diesem Abend die Moderation übernimmt.
Die Frau auf der anderen Seite ist Irmgard Himstedt, eine Musikerin und Performerin aus Köln.
Der Autor beginnt die Lesung mit dem Romananfang auf Sorani, einer der drei kurdischen Hauptsprachen. Nach kurzer Zeit folgt der Einstieg in die Geschichte dann auf Deutsch durch Michael Dick. Es geht in diesem Roman um einen Musiker mit Namen Dschaladat, einen Flötisten, der, ausgestattet mit größtem Talent, zunächst auf wunderbar dargestellte Weise im jungen Alter mit Hilfe seines Lehrers auch über das Erleben der Schönheit der Natur das Flötenspielen lernt, dann im Laufe seines Lebens in das Grauen des Kriegs und der Unterdrückung des Regimes samt Folter und Qualen gerät.
Der Roman ist aus der Sicht zweier sich streitender Ich-Erzähler geschrieben, von denen der eine in der Darstellung der Hauptfigur den Versuch einer realistischen Biografie und der andere den Entwurf eine Fantasy-artigen Romanfigur gestaltet. Hier erlebt man die Schilderung des Brechens eines Künstlers durch ein Terror-Regime, immer am Rande des Todes und in der Fantasy-Fassung auch über diesen hinaus, - eines Künstlers unter vielen, dessen Werke schließlich märchenhaft und trostvoll von anderen Künstlern in einer unterirdischen Stadt aufbewahrt, weiter- und zu Ende geführt werden.
Über zwei Stunden faszinieren die Akteure das Publikum, welches im Verlaufe des Abends mit Fragen und Gesprächsbeiträgen immer mehr Teil des Ganzen wird. Die großartige, ausdrucksstarke Rezitation von Michael Dick wird dreimal unterbrochen von schillernden Querflötenimprovisationen der Kölner Musikerin Irmgard Himstedt. Mittendrin steht das lange und ausführliche Bekenntnis eines Autors zur Schönheit, die sich über die Kraft der Musik und der Künste über die Zeit und über das Grauen und die Zerstörung als ein Hoffnungsschimmer für die Menschen und für den Planeten, artikuliert.
Das gebannte Publikum dankt am Ende dem Autor, den zwei Künstlern und dem feinfühligen Moderator mit lang andauerndem Applaus.