Am Donnerstag, den 18. September, war die erste und einzige Veranstaltung der diesjährigen Westerwälder Literaturtage (Programmleitung: Katharina Roßbach) in Hamm (Sieg) ausverkauft und das KulturHaus dementsprechend mit über neunzig gespannten Zuhörer:innen gefüllt. Ortsbürgermeister Thomas Christmann freute sich in seiner Begrüßung darüber, „dass das Haus so voll geworden“ sei und stellte die beiden Referenten des Abends, Historiker Prof. Andreas Rödder und den Kultur- und Literaturreferenten des Landes Rheinland-Pfalz, Michael Au vor. Die beiden Männer stammen nicht nur aus der Region und verbrachten ihre Schul- und Jugendzeit in Wissen (Sieg), sondern sie verbindet darüber hinaus eine langjährige Freundschaft, erklärte Au später.
Zwischen den beiden spannte sich im Verlaufe des Abends ein unterhaltsames Zwiegespräch auf, dem Rödders 2024 erschienenes Buch „Der verlorene Frieden. Vom Fall der Mauer zum neuen Ost-West-Konflikt“ zu Grunde lag, zu dessen Thesen und Einordnungen Michael Au zugespitzte und teils provokante Fragen an den Autoren stellte.
Rödder ist dabei kein unbeschriebenes Blatt: Eingangs erklärte Au, dass Rödder niemand sei, der „im Elfenbeinturm“ auf die Dinge schaue und über sie schreibe, sondern sich mitten ins Geschehen begäbe und seine Meinung in den Diskurs einbrächte. Dabei gab es in der Vergangenheit auch immer wieder Kontroversen um den CDUler.
„Es gibt keine eindeutigen Lehren aus der Historie, aber die Historie beeinflusst das politische Handeln.“ (Rödder)
Nach einem Überblick über die Entwicklungen des Ost-Westkonfliktes der letzten Jahrzehnte legte Rödder die Diagnose dar, die „Hybris des Westens“ sei in dem (überheblichen) Glauben begründet gewesen, alle Nationen und Menschen warteten nur auf ihn: Man habe sich nicht vorstellen können, dass in anderen Teilen der Welt die westliche Ordnung kein Leuchtfeuer, sondern eine Bedrohung kultureller und ideeller Konzepte ist.
In diesem Zusammenhang kamen Rödder und Au schließlich auch auf die Eskalation des Konfliktes in Form des Ukrainekriegs zu sprechen. Dabei urteilte Rödder, dass die Aushandlung des Minsker Abkommens „vernünftig“ gewesen sei, man aber hätte erkennen müssen, dass damit nicht mehr als eine „kurze Atempause“ im Konflikt gewonnen wurde, da sich Russland nicht an das Abkommen hielt, statt sich der Realität weiter zu verweigern. Die uneingestandene Niederlage des Ostens im kalten Krieg sei der eigentliche Treiber des russischen Revisionismus der Gegenwart, urteilte er.
Aus Rödders Perspektive sei es nun neben einer Rückkehr zur militärischen Abschreckung fundamental, den Invasoren keine Angriffsfläche durch innere Spaltung zu geben.
Das Gebot der Stunde: Selbstbehauptung der Demokratie
Ein wichtiges Gegenmittel seien also auch „vitale, westliche Demokratien“, die nicht durch gesellschaftliche Polarisierungen immer mehr an Handlungsfähigkeit einbüßten. Gleichzeitig erklärte Rödder, seinem Verständnis nach solle Politik „Kampfsport“ sein, im Wettstreit um die bessere Idee. Wie fair und offen dieser ausgetragen werden würde bzw. könne, sei unter anderem ein Faktor für die Reformfähigkeit Deutschlands.
Gesprächsstoff für den weiteren Abend und zum Mit-nach-Hause-Nehmen

Im Rahmen der „etwas anderen“ Buchvorstellung im KulturHaus stellte Rödder seine Fähigkeit unter Beweis, komplexe Themen – ohne den übermäßigen Einsatz von Fachjargon, aber von Begleitreferenzen untermauert – anschaulich darstellen zu können. Den ernsten Themen zum Trotz kam insofern ein Unterhaltungsfaktor zum Tragen, als dass Rödder -ebenso wie Au- stellenweise immer wieder Spitzen gegen vergangene und aktuelle Anschauungen und Politik(er) austeilten und mit ihren eloquent formulierten Kritiken durchaus für ein auflockerndes Lachen in der Runde sorgten.
Während Rödder in der „Geschichtsdeutung“ sein umfängliches Fachwissen einbrachte und seiner Argumentation eine (im Westen) wohl weitgehend konsensfähige Einordnung des Ost-West-Konfliktes zu Grunde legte, zeichneten sich seine Ableitungen daraus durch Thesen aus, die sich -oft aus mehreren Perspektiven- kontrovers diskutieren lassen (müssen): Darunter befanden sich etwa Rödders Empfehlung zur Aufrüstung und Rückkehr zu wirksamer Abschreckung sowie seine (hypothetische) Aussprache für eine CDU-Minderheitsregierung anstelle einer Koalition und für einen differenzierten Umgang mit der AfD und ihren Inhalten auf der politischen Bühne. Wie Rödder selbst zwischenzeitlich einwarf: „Politik ist immer mit Wertung verbunden.“
So war es kaum verwunderlich, dass sich viele der Zuhörerinnen und Zuhörer nach der Veranstaltung mit den neuen Gedanken- und Diskussionsanstößen in kleinen Gruppen zusammenfanden, um sich über die behandelten Themen auszutauschen und eigene Haltungen einzubringen.
Auch Ortsbürgermeister Thomas Christmann konstatierte gegenüber den beiden Protagonisten des Abends: „Ich könnte jetzt noch so viel dazu sagen!“, ehe er sich bei Au und Rödder für die Eindrücke bedankte und sowohl ihnen als auch der Programmleiterin der Westerwälder Literaturtage, Katharina Roßbach (buchladen Wissen) im Namen der Ortsgemeinde als Gastgeberin der Veranstaltung jeweils ein Präsent überreichte.